Wenn Frauen Führungspositionen übernehmen, geht damit ein klares Signal einher. Doch dieses ist nicht immer positiv, wie das Glass-Cliff-Phänomen zeigt.
Auch wenn im Vergleich zu den letzten Jahren in vielen Ländern ein Plus an Frauen in Führungspositionen zu verzeichnen ist, dominieren immer noch die Männer die oberen Chefetagen.
Dabei ist auffallend, dass Frauen oft gerade dann die Möglichkeit auf eine Spitzenposition geboten wird, wenn das jeweilige Unternehmen oder die jeweilige Organisation bzw. Institution turbulente Zeiten durchlebt.
Das sogenannte „Glass-Cliff“-Phänomen beschreibt diesen Zustand und steht für die gläserne Decke, an der sich Frauen oft stoßen.
Das Glass-Cliff-Phänomen
Das Glass-Cliff-Phänomen (auf Deutsch „Gläserne Klippe“) beschreibt die Theorie, dass Frauen mit hoher Wahrscheinlichkeit vor allem in Krisenzeiten die Chance bekommen, eine Führungsrolle zu bekleiden.
Dass es sich dabei keinesfalls um eine Verschwörungstheorie gegenüber Männern oder eine feministische Initiative von Frauenbewegungen handelt, bestätigen zahlreiche Fälle in der Realität.
Bekannte Glass-Cliff-Fälle
Als die Ex-Yahoo-Chefin Marissa Mayer das Unternehmen im Jahr 2012 übernahm, stand sie vor Herkulesaufgaben. Yahoo hatte zu dieser Zeit mit einem enormen Konkurrenzdruck der Mitbewerber zu kämpfen. Als CEO sollte Mayer das Unternehmen schnellstmöglich wieder konkurrenzfähig machen. Doch Google und Facebook waren zu stark. 2017 trat Mayer aufgrund ihres Misserfolges zurück. Kritiker sahen die Gründe nicht etwa in der äußerst anspruchsvollen Aufgabe, die schier unmöglich zu bewältigen schien, sondern in ihrer persönlichen Herangehensweise und angeblich unzureichenden Bemühungen.
Ein weiteres Opfer der Glass-Cliff-Theorie ist Theresa May. 2016 legte sie ihr Amt als Innenministerin nieder und trat als Premierministerin des Vereinigten Königreiches in die Fußstapfen von David Cameron. Dieser hatte zuvor das Brexit-Referendum initiiert, trat nach einem negativen Ergebnis jedoch zurück. May sollte die komplexe Brexit-Causa erfolgreich abwickeln. Sie selbst plädierte dabei für den Verbleib in der EU, stieß dabei bei Kollegen jedoch auf reichlich Gegenwind. Letzten Endes scheiterte sie und ein Mann, Boris Johnson, übernahm wieder die Führung.
Als aktuelles Glass-Cliff-Phänomen kann die Besetzung der Position als CEO bei Twitter genannt werden. Wie bekannt ist, befindet sich das Mikroblogging-Unternehmen in einem heißen Kampf mit seinem wohl größten Konkurrenten, Mark Zuckerbergs Facebook. Am 6. Juni 2023 zog sich Elon Musk als CEO zurück. Die Führung übernahm eine Frau, Linda Yaccarino. Ihr obliegt es nun, das Unternehmen auf Überholspur zu steuern.
Warum werden Frauen gerade in schlechten Zeiten befördert?
Diese Beispiele sind nur ein Auszug. Die Anzahl der Frauen, die vom Glass-Cliff-Phänomen betroffen sind, ist deutlich höher.
Dies bestätigte auch die EZB-Präsidentin Christine Lagarde mit ihrer Aussage in der Talkshow von Trevor Noah: „Wenn die Situation schlecht ist, ruft man nach der Frau.“ Doch worin liegen die Gründe dafür?
Zum einen wollen viele Unternehmen, Institutionen oder Organisationen in Krisenzeiten ein Signal setzen. Dieses ist nach außen hin immer dann besonders deutlich, wenn die Veränderung auch dementsprechend groß erscheint. Waren bisher ausschließlich Männer als CEO tätig, steht eine Frau an der Spitze für einen signifikanten Umschwung, der meist zusätzlich seitens der Medien gepusht wird. Das Ziel, ein klares Signal für Wandel, Aufbruch und Lernfähigkeit zu setzen, wäre damit geglückt.
Ähnliches gilt übrigens auch für Personen anderer Hautfarbe. Man denke an Barack Obama und die gigantische Aufbruchstimmung, die weit über Amerika hinaus zu spüren war.
Ein weiterer Grund, der das Glass-Cliff-Phänomen erklärt, liegt in den immer noch vorherrschenden Stereotypen. So werden Männer nach wie vor vermehrt mit Eigenschaften wie „Stärke, Durchsetzungsvermögen und Macht“ in Verbindung gebracht, während man Frauen eher Charakteristika wie „Intuition, Verständnis und Besonnenheit“ zuschreibt.
Wie lässt sich ein Glass-Cliff vermeiden?
Die Wahrscheinlichkeit, dass Frauen Gefahr laufen, an den gläsernen Klippen zu scheitern, ist relativ hoch. Doch wie lässt sich dieses Risiko minimieren?
Experten sehen die Lösung in einem Beförderungsprozess mit mehr Transparenz. Sie gehen davon aus, dass viele Entscheidungen hinter verschlossenen Türen getroffen werden. Daher brauche es als zweiten Lösungsansatz vor allem auch mehr Formalität.
Ganz wichtig sei außerdem, Personen bei bevorstehenden Führungsaufgaben hinsichtlich ihrer Tätigkeiten und Risiken zu sensibilisieren.